Keramikstandort
 
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Friedmar Kerbe und GLAUX-Verlag Jena  - Buchempfehlung
 
Die Entwicklung des Keramikstandortes Hermsdorf und seine Beziehungen zur Region Jena 1890-1945

Autor: Friedmar Kerbe

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Seite 1 - Gründung und Entwicklung der Porzellanfabrik


Anmerkungen und Quellen auf Seite 7

Im folgenden wird ein Abriss der betriebsgeschichtlichen und technischen Entwicklung auf dem Gebiet der technischen Keramik am Standort Hermsdorf seit 1890 gegeben. Am Beispiel der traditions­reichen Erzeugnislinien Elektroporzellan und Chemieporzellan sowie anhand der Entwicklung keramischer Sondermassen und darauf aufbauender Erzeugnislinien wird historisch die Herausbildung des Hermsdorfer Unternehmens von einer Porzellanfabrik zu einem Ke­ramischen Werk abgeleitet. Ein nachfolgender Teil 2 wird die Ent­wicklung nach 1945 zum Sinterkombinat der DDR mit zahlreichen neuen Erzeugnislinien einschließlich Mikroelektronik und den gravierenden Strukturwandel am Standort in der Nachwendezeit beinhalten. In diesem Teil werden auch die vielfältigen Wechsel­beziehungen zur Region Jena behandelt.

Gründung und Entwicklung der Porzellanfabrik Hermsdorf-Kloster­lausnitz S.-A.

Die Aktiengesellschaft Porzellanfabrik Kahla des Strupp-Konzerns errichtete unter Generaldirektor Hermann Koch in der kurzen Bauzeit von März bis November 1889 in Hermsdorf/Thür. eine für die damalige Zeit recht großzügige Porzellanfabrik mit 10 Rundöfen, die am 1. Januar 1890 in betriebsfertigem Zustand an die Aktien­gesellschaft übergeben wurde und am 6. Januar den Betrieb aufnahm (Bild 1).

 
Bild 1: Ansicht der Porzellanfabrik Hermsdorf-Klosterlausnitz von 1898 Bild 1: Ansicht der Porzellanfabrik Hermsdorf-Klosterlausnitz von 1898

Für die Standortwahl Hermsdorf waren folgende Faktoren ausschlaggebend: der große Holzreichtum des »Altenburger Holzlandes«, die günstige Verkehrslage an der 1876 eröffneten Bahnlinie Gera - Weimar und das Vorhandensein zahlreicher Arbeitskräfte in dem existenzarmen Waldgebiet, verschärft durch den Umstand, dass mit Einführung mechanischer Sägemühlen im Holzland viele der früheren »Brettschneider« brotlos geworden waren. Außerdem besaßen die Kahlaer Aktionäre seit Jahrzehnten Geschäftsbeziehungen zu Porzellanmalern und -händlern der Region, insbesondere im benachbarten Reichenbach, die ihre Produkte auch aus Kahla bezogen. Die meisten Arbeitskräfte kamen damals aus Hermsdorf und Klosterlausnitz; Töpfer aus Bürgel und Porzellandreher aus dem Mutterhaus Kahla bildeten den Stamm an Fachkräften und Meistern. Das wirtschaftliche Erfordernis für die neue Fabrik bestand im steigenden Bedarf an Porzellangeschirr für den Export, und dafür war die Fabrik auch ausschließlich vorgesehen, wobei Masse- und Lasuraufbereitung zunächst in Kahla erfolgten (Bild 2). Zu gleichem Zweck ging auch die bis 1889 der Fa. Unger & Schall gehörende Zwickauer Porzellanfabrik am 1. Januar 1890 durch Kauf in den Besitz des Bankhauses Strupp in Meinungen über und von diesem im Dezember 1890 an die Kahla A.-G..

 
Bild 2: Geschirrfertigung in der Hermsdorfer Porzelline Bild 2: Geschirrfertigung in der Hermsdorfer Porzelline

Dies alles fiel in eine Zeit der stürmischen Entwicklung der Elektrotechnik, die insbesondere mit der neuen Energieübertragung mit­tels Drehstrom revolutionierend auf die Entwicklung der Produktivkräfte wirkte. So erfolgte im Jahre 1891 die erste Drehstromkraftübertragung vorn Lauffen nach Frankfurt/Main mit 15 kV unter Einsatz von Öl-Isolatoren, gefertigt in der Margarethenhütte in Großdubrau bei Bautzen [2] (Bild 3). Nach Einschätzung durch den Initiator dieses »aufregendsten Experimentes« auf der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt, Oskar von Miller, wurde »... der schwierigste und großartigste Versuch realisiert, der auf dem Gebiet der Elektrotechnik gemacht worden ist, seit jene geheimnisvolle Naturkraft, die wir Elektrizität nennen, der Technik dienstbar gemacht wurde« [3]. Die Nachfrage nach Porzellan-Isolatoren stieg. Die Hermsdorfer Fabrik stellte sich sofort auf diese Entwicklung ein und nahm im Sommer 1892 unter Direktor Oskar Arke [4] die Fertigung von Isolatoren aus Hartporzellan auf. Die Geschirrproduktion wurde noch bis etwa 1910 weitergeführt. Ursprünglich war die Zwickauer Filiale der Kahla A.-G. für die Einführung der Isolatorenfertigung auserkoren, eignete sich aber von ihren Einrichtungen her nicht für diese Technologie.

 
Bild 3: 50 jähriges Jubiläum der Drehstrom-Kraftübertragung Bild 3: 50 jähriges Jubiläum der Drehstrom-Kraftübertragung Lauffen-Frankfurt a. M. mit Ölisolatoren der Margarethenhütte

Am 20. August 1892 beantragte die Porzellanfabrik Hermsdorf bei der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt Berlin-Charlottenburg Messungen des Isolationswiderstandes an Porzellan-Isolatoren bei mit Feuchtigkeit gesättigter Luft. Im Gutachten vom 16. Januar 1893, unterzeichnet von Prof. Hermann von Helmholtz, wurde die Größe des Isolationswiderstandes dreier geprüfter Sorten als »... im Durchschnitt ziemlich gleich und zu rund 700 Millionen Ohm gefunden« [5]. Hermsdorf knüpfte unmittelbar Verbindung zu führenden Elek­trofirmen, was schnell zu Aufträgen führte. So kam bereits im August 1892 der erste Großauftrag von der rumänischen Telegrafen­verwaltung über 30 000 Isolatoren.

 
Bild 4: Erzeugnisvielfalt an Schwachstrom-Isolatoren Bild 4: Erzeugnisvielfalt an Schwachstrom-Isolatoren

Zu bemerkenswerten Lieferungen in den Anfangsjahren gehörten auch Starkstromisolatoren für den Nord-Ostsee-Kanal in einer besonders schönen Scharffeuer-Blau-Glasur und Hochspannungs-Isolatoren für Norwegen und Schweden im Spannungsbereich 10 bis 15 kV Die produzierte Vielfalt allein an Schwachstrom-Isolatoren für zahlreiche Länder zeigt Bild 4.

 
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